Viele Pädaog*innen – ich eingeschlossen – sind hoffnungslose Idealist*innen.
Man beginnt Studium oder Ausbildung, weil man gerne mit
Kindern und Jugendlichen arbeiten möchte und weil man sie auf ihrem Weg
begleiten und sie unterstützen möchte.
Besonders in der Sozialen Arbeit muss man sich als Berufseinsteiger*in häufig
anhören, man sollte sich darüber im Klaren sein, dass man nicht „alle retten“
kann, aber insgeheim nimmt man sich auf jeden Fall vor, „so viele wie möglich
zu retten.“
„Retten“ meint in diesem Fall für mich so etwas wie „erreichen“. Mein Ziel war
es in meiner Arbeit immer, so viele Kinder, Jugendliche – und später auch
Erwachsene – zu erreichen und ihnen die Hilfe und Unterstützung anzubieten, die
sie benötigen.
Aber was ist, wenn das gar nicht so einfach umzusetzen ist?
Im Alltag der Pädagog*innen gibt es dieselben Konflikte, wie in allen anderen
Berufen: Zu wenig Zeit, Unterbesetzung, dominante Leitungspersonen, Konkurrenz
und Streitigkeiten mit den Kolleg*innen, Überforderung, Unterfinanzierung und
so weiter.
Vieles davon kann in der Praxis demotivierend wirken.
„Wir sind permanent unterbesetzt, ich muss so viel einspringen, ich schaffe es
nicht, so mit den Kindern zu arbeiten, wie ich es mir wünsche.“
„Ich habe so tolle Ideen für Projekte, aber es ist einfach kein Geld da, um sie
umzusetzen.“
„Wir wollen die Kinder unterstützen, aber die Leitung erlaubt uns viele
Schritte nicht.“
„Mir so viel Zeit für ein Kind nehmen? Das ist im stressigen Alltag unmöglich.“
Die idealistische Herangehensweise wird an vielen Stellen auf die Probe gestellt und wir Pädagog*innen kommen schnell an die Grenzen unserer eigenen Handlungsfähigkeit und müssen zugeben, dass wir Vieles, was wir den Kindern und Jugendlichen bieten wollen, nicht schaffen.
Oder?
In meiner Arbeit in der Jugendhilfe an der Schule gab es
einen Vorfall, bei dem ein Schüler massiv zu Unrecht behandelt wurde. Durch
einige unglückliche Situationen, in denen er (für uns als Jugendhilfe
offensichtlich) das Opfer war, geriet er als Täter in die Köpfe einiger
Lehrkräfte und der Schulleitung. Er entwickelte sich vom beliebten Klassenclown
zum Außenseiter, weil er sich irgendwann den Stigmatisierungen hingab und sich
tatsächlich entsprechend dieser aufgedrückten Rolle verhielt.
Egal was in der Klasse und auf dem Schulhof passierte, er war sofort der
Hauptverdächtige und erhielt eine Reihe von Sanktionen.
Er und seine Klasse wendeten sich relativ früh an uns als Jugendhilfe, sodass
wir von Anfang an beteiligt waren. Ich kann kaum mehr zählen, wie viele
Gespräche mit Lehrer*innen, Schulleitung und den Eltern geführt werden, in
denen wir immer wieder auf die Not des Jungen hinwiesen. Unsere Meinung zählte
nicht.
Als Mitarbeitende einer anderen Profession, die „von außen“ in die Schule
kommt, war unsere Stimme in solchen Fällen nicht gleichwertig und wir hatten
keine Chance, beispielsweise bei Klassenkonferenzen für den Jungen einzustehen.
Natürlich gingen wir alle möglichen Wege, aber keiner schien so richtig dorthin
zu führen, wo wir hin wollten. Wir hatten täglich mit Demotivation zu kämpfen
und ich beschrieb die Situation immer mit einer dunklen Wolke, die sich über
uns hängte.
Die Krönung der Situation spielte sich in meinem Kopf ab, als der Junge mit
seiner Mutter bei uns im Büro saß, da er wegen einer Rangelei vom Unterricht
suspendiert wurde. Wir selbst hatten den Vorfall nicht miterlebt, konnten also
nicht entscheiden, wer hier „im Recht“ war, klar war jedoch, dass der Junge
ungemein an der Situation litt. Und mittlerweile auch seine Mutter.
Es sollte ein erneutes Elterngespräch geben und ich schlug vor, dass mein
Kollege die beiden dort begleiten und unterstützen könne, doch der Junge sagte:
„Aber Frau Gehr, Sie können doch auch nichts mehr tun.“
Ich muss zugeben, dass es in dem Moment wirklich wehtat, die Verzweiflung zu
spüren und zu hören, dass auch er uns als so handlungsunfähig empfand, wie wir
uns selbst fühlten.
Waren wir gescheitert?
Tatsächlich konnten wir aktiv in diesem Fall nicht mehr tun, als unsere Leitung zu informieren und den „Fall“ auf eine andere Ebene zu verschieben, uns an verschiedene andere Stellen zu wenden und dem Jungen tatsächlich einen Schulwechsel vorzuschlagen.
Aber was haben wir trotzdem getan?
Dieser Junge hat so viel Ungerechtigkeit erfahren und
allein, dass wir als Erwachsene da waren und ihm und seiner Mutter den Rücken
gestärkt haben, war so viel wert.
Die beiden spürten auf diese Weise, dass sie nicht allein gegen die, in diesem
Fall ungerechte Institution Schule dastanden. Sie erlebten, dass ihre eigenen
Emotionen zu den Vorfällen „richtig“ waren und auch wenn ihnen das auf den
ersten Blick nicht geholfen hat, so konnten wir zu einem positiven Gefühl
beitragen und dafür sorgen, dass der Junge diese Ungerechtigkeit und Abwertung nicht
für sich integrierte.
Natürlich ist dies nur ein Beispiel von vielen, was ich aber damit sagen möchte: Wir alle können so viel mehr tun, als wir glauben und unser Tun bewirkt so viel mehr, als wir glauben.
Egal ob Strukturen, Geld, Stress oder konkrete Personen dazu führen, dass wir unsere Ideale nicht umsetzen können, so sollten wir uns immer überlegen, was wir in dem Rahmen, in dem wir uns befinden, dennoch bewirken können.
Handlungsfähigkeit hängt immer davon ab, wie wir sie selbst für uns nutzen.
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